Das Thema gendergerechte Sprache ist mit vielen Unsicherheiten besetzt und wird deshalb immer wieder emotional aufgeladen diskutiert. Hinter der Debatte stehen große Themen, allen voran die Gleichberechtigung und Teilhabe von Frauen. Viele Menschen sind dafür, viele noch immer dagegen. Anstatt immer wieder die gleiche Debatte zu führen – und stehen zu bleiben – lohnt es sich, das Thema einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten und Zahlen für sich sprechen zu lassen, denn: Sprache ist ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor! Der Fokus in diesem Beitrag liegt also auf Daten, Zahlen und Fakten, und er zeigt: Um gendergerechte Sprache in Unternehmen zu etablieren, braucht es nicht die moralische Überzeugung aller Beteiligten.
Die 160 börsennotierten Unternehmen in Deutschland sind dazu verpflichtet, Zielgrößen zur Steigerung ihres Frauenanteils im Vorstand anzugeben. 2020 gaben 55 Unternehmen die Zielgröße Null an und konnten sich dann auch damit brüsten, ihre Zielgröße erreicht zu haben. Diversität so zu umgehen, wird langfristig allerdings nicht funktionieren, denn der Druck auf Unternehmen, sich zu Diversity zu bekennen, wird immer größer. Hier ein paar Beispiele der aktuellen Trends: Öffentlichkeit und Mitarbeiter:innen erwarten mehr Frauen in der Führung, so die Allbright Stiftung 2021. Die Hochschule Darmstadt befragte in Kooperation mit der FAZ die DAX-Unternehmen dazu, ob sie gendergerechte Sprache bereits eingeführt oder die Einführung geplant haben – die Mehrheit beantwortete diese Fragen mit Ja. In einer Studie des Karriere-Portals Stepstone aus dem Jahr 2020 gaben 77 % der befragten Personen an, sich eher bei einem Unternehmen bewerben zu wollen, das für Vielfalt steht.
Trotz dieser Trends scheint gendergerechte Sprache oft wie ein zu kleines Thema, um in der Arbeitswelt eine Rolle zu spielen. Aber sie kann einen Schmetterlingseffekt auslösen, wie ich anhand von vier Punkten zeigen möchte:
- Die Wirkung von Sprache fängt schon vor der Bewerbung an.
- Gendergerechte Sprache ist ein kostengünstiger Change-Prozess – denn Sprache nutzen wir sowieso.
- Gendergerechte Sprache zahlt in die Marke ein.
- Gendergerechte Sprache hat finanzielle Vorteile.
Die Wirkung von Sprache fängt schon vor der Bewerbung an.
Wer sich auf eine Stelle bewirbt, hängt auch damit zusammen, welche Bilder die Wortwahl in Stellenanzeigen erzeugt. So werden zum Beispiel Wörter wie analytisch, entscheidungsfreudig und durchsetzungsfähig oft männlich gelesen, engagiert, teamfähig und zuverlässig hingegen eher weiblich. Eine weitere Studie zeigt, dass Mädchen sich eher einen typisch männlichen Beruf zutrauen, wenn neben der männlichen Bezeichnung (Ingenieur) auch noch die weibliche (Ingenieurin) genannt wird. Eine gute Stellenanzeige findet sprachlich die Balance zwischen männlich und weiblich konnotierten Wörtern und nennt alle Geschlechter. So werden nicht nur diversere Bewerber:innen angesprochen, auch das Bild, das Arbeitgeber:innen im Kopf haben, wenn sie jemanden einstellen, kann sich ändern. Eine gendergerechte Sprache kann die Basis sein, um Menschen verschiedener Geschlechter und Hintergründe in ein Unternehmen zu bringen. Und wenn diese erst einmal im Unternehmen sind, wird ebenfalls von der Sprache beeinflusst, wer sich auf Führungspositionen bewirbt und wer hierfür ausgewählt wird. Ein Recruiting Bias von 1 % führt zu 10 % weniger Frauen in einer höheren Hierarchieebene.
Dabei werden Unternehmen, die weiterhin Frauen nicht adäquat ansprechen, langfristig zahlreiche Talente entgehen. Spätestens in 10 Jahren werden sie Schwierigkeiten haben, Nachwuchsführungskräfte zu rekrutieren. Denn seit 2011 beginnen jedes Jahr mehr Frauen an Männer ein Hochschulstudium, zeigt eine aktuelle Erhebung von Statista.
Gendergerechte Sprache ist ein kostengünstiger Change-Prozess – denn Sprache nutzen wir sowieso.
Mit 16.000 Wörtern pro Tag, die wir sprechen, ist gendergerechte Sprache ein sehr effizienter Weg, uns häufig selbst zu erinnern, dass wir noch nicht wirklich in einer gleichberechtigten Welt angekommen sind und selbst einen Bias in uns tragen. Sie ist außerdem sehr effektiv, denn Sprache wirkt unterbewusst. Damit ist gendergerechte Sprache ein fast kostenneutraler Change-Prozess: Sie hat keine laufenden Kosten für teure Beratungen, sondern primär persönlichen Aufwand der Sprachproduzierenden, und dieser ist gewollt! Es geht dabei letztlich auch nicht um das individuelle Betroffensein („Ich fühle mich doch mitgemeint“), sondern um einen strukturellen Wandel unserer Arbeitswelt, der in unserer Sprache beginnt. Derzeit ist übrigens der Genderstar mit 68 % häufigste genutzte orthographische Variante und auch feminine Berufsbezeichnungen sind aufgrund der geringeren Nutzungen zu beliebten Nischen-Keywords im SEO-Marketing geworden.
Gendergerechte Sprache zahlt in die Marke ein.
Employer Branding ist nicht leicht messbar, aber deswegen nicht zu unterschätzen. Gendergerechte Sprache hat multidimensionale Effekte, die weit über juristische Fragen der HR hinausgehen: Sie betont Markenwerte wie Fairness, Leadership & Mut und beeinflusst auch Bereiche wie Costumer Care und die allgemeine Kommunikation. Die Boston Consulting Group kommt 2020 zu dem Ergebnis, dass Organisationen schlechtere Zufriedenheitswerte, Kund:innenwechsel und damit weniger Umsätze riskieren, wenn sie Frauen – eine wachsende ökonomisch relevante Zielgruppe – einfach nicht adäquat ansprechen! Wer sich für non-binäres Gendern entscheidet, also orthographische Varianten wie Mitarbeiter*innen, Mitarbeiter:innen oder Mitarbeiter_innen nutzt, sagt damit: Wir schließen niemanden aus. Bewerber:innen schätzen die Organisation dann auch als fairer und innovativer ein. Dass sich Menschen lieber bei Unternehmen bewerben, die für Vielfalt stehen, bestätigt eine repräsentative Studie der Online-Jobplattform StepStone aus dem Jahr 2020. 11.000 Menschen wurden befragt, 78 Prozent gaben an, dass sie lieber in einem diversen Umfeld arbeiten.
Damit es nicht bei einer halbherzigen Außendarstellung bleibt, braucht es gendergerechte Sprache. Denn als Unternehmen glaubhaft für Diversität und Inklusion zu stehen, klappt nur, wenn diese Werte auch nach innen gelebt werden. Das sehen wir am Pride Month: Viele Unternehmen wurden (zurecht) dafür kritisiert, diesen nur für die eigene Außendarstellung zu nutzen.
tl;dr
Gendergerechte Sprache ist ein Lernprozess, der manchmal unangenehm sein kann. Wichtig ist, sich diesem Prozess nicht zu verschließen. Der Wandel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität findet sowieso statt, und der Sprachwandel mit ihm. Bis alle davon überzeugt sind, brauchen wir eben Hard Facts. Dieser Beitrag liefert einige.
Gendergerechte Sprache hat finanzielle Vorteile.
Die Wirkung von Sprache zeigt sich sogar in Zahlen, das geht schon aus einer Studie von Deloitte Australia und der Victorian Equal Opportunity and Human Rights Commission aus dem Jahr 2013 hervor: Wenn der Anteil von Mitarbeiter:innen, die sich wertgeschätzt fühlen (und das fühlen sie eher, wenn sie als Mitarbeiterin angesprochen werden), um 10 % steigt, sinkt der Krankenstand durchschnittlich um fast einen ganzen Tag.
Führungskräfte verbringen 30-50 % ihrer Arbeitszeit damit, Missverständnisse, Konflikte und deren Konsequenzen zu lösen. Ineffiziente Kommunikation ist teuer. Linguistische Untersuchungen stellten fest, dass bestimmte Charakteristika, die für eine effiziente Kommunikation wichtig sind, vermehrt von Frauen verwendet werden. Frauen stellen öfter eine Verbindung zu ihren Vorredner:innen her (wie wir gerade gehört haben, wie X gesagt hat). Sie stellen häufiger Fragen und beziehen die Meinungen anderer mit ein. Außerdem verwenden sie häufiger Weichmacher, wie eigentlich, vielleicht, ich würde. Somit sind Aussagen nicht absolut, sondern verhandelbar. Diese Charakteristika sind Kooperationsangebote, um Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Das wiederum spart Zeit und Geld.
Fazit: Gendergerechte Sprache lohnt sich!
Wir halten fest: Gendergerechte Sprache kann sich wirklich lohnen! Und mit gendergerechter Sprache ist nicht nur gemeint, „m/w/d“ hinter eine männliche Berufsbezeichnung zu setzen oder „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ zu schreiben. Das ist ein Anfang, aber wir müssen genauer hinsehen. Denn Sprache wirkt unterbewusst und das Unterbewusstsein lässt sich nicht so leicht austricksen.
Gendergerechte Sprache ist ein Lernprozess, der manchmal unangenehm sein kann. Wichtig ist, sich diesem Prozess nicht zu verschließen. Der Wandel zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und Diversität findet sowieso statt, und der Sprachwandel mit ihm. Bis alle davon überzeugt sind, brauchen wir eben Hard Facts. Dieser Beitrag liefert einige.